Intelligente Häuser für Demenzkranke

Statistiken zufolge sind in Europa mehr als fünf Millionen Menschen an Alzheimer oder Parkinson erkrankt. Betroffen sind vor allem Frauen und Männer jenseits der sechzig. Rund 30% von ihnen leben in Pflegeheimen. Trotz intensiver Forschung gibt es bis heute keine effektive Therapie gegen diese verbreiteten Alterskrankheiten. Rose-Marie Dröes, Professorin für psychologische Betreuung, lehrt an der VU Universität in Amsterdam: “Parkinson und Demenz sind fortschreitende neurologische Krankheiten, die Symptome werden schlimmer je weiter sich die Krankheit bei den Patienten entwickelt. Demenz beginnt mit kognitiven Problemen. Es fällt den Betroffenen schwer sich Sachen zu merken und sie erinnern sich nicht mehr an Handlungen, die sie täglich durchführen.” Rund 70% der Patienten, die sich in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium befinden, leben in Pflegeheimen. Aufgrund der alternden Gesellschaften werden in den nächsten 40 Jahren voraussichtlich mehr als 10 Millionen neue Fälle hinzukommen. Wissenschaftler erforschen nun mit welchen technischen Möglichkeiten, das Leben der Demenz- und Parkinsonkranken verbessert und vereinfacht werden kann. Irak Karkowski ist der Koordinator des europäischen Rosetta-Projekts und erklärt das Vorhaben: “Wir können mit moderner Technologie Menschen mit fortgeschrittenen Behinderungen, wie etwa Demenz, dabei helfen ihre Selbstständigkeit und Lebensqualität zu behalten, und ihnen ermöglichen in ihren eigenen vier Wänden zu leben.”

Die Forscher des europäischen Rosetta Projekts arbeiten an der Entwicklung von intelligenten Wohnumgebungen und Assistenzsystemen. In Kaiserslautern, am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering wird ein Frühwarnsystem getestet. Der Patient wird digital überwacht und wenn das System sein Verhalten bzw. seine Bewegungen als potentiell gefährlich einstuft, geht ein Alarm los. Der Informatiker Andreas Jedlitschka führt die Experimente durch: “In diesen Laboren geht es darum Erfahrungen zu sammeln, um zu sehen, wie die Sensoren funktionieren und das Verhalten der Menschen überwacht wird.” Diese Technologie kann sich auch in Altersheimen als nützlich erweisen. Die Privatsphäre des Patienten wird gewahrt, denn das System nimmt weder Bilder noch Geräusche auf, es analysiert ledglich die Position des Demenzkranken. Laut Christian Madler, Anästhesist am Lehrkrankenhaus der Johannes Gutenberg Universität in Mainz, gibt es einen großen Bedarf: “Sie haben hier einen simulierten Alarm unseres Systems miterlebt, alte Menschen sind heute im Fokus der Notfallversorgung, weil sie sehr häufig alleine leben und sich über konventionelle Hausnotrufe nicht bemerkbar machen können, im Falle eines akuten Ereignisses.” Elizabeth Athmer-Aghina, hat früher als Lehrerin gearbeitet, heute lebt die 85-Jährige Niederländerin allein. In ihrer Wohnung sind mehrere Sensoren installiert, die ihre Bewegungen überwachen und die Daten an ein Zentrum schicken. Sie fühlt sich dank des Systems sicherer: “Ich lag einmal drei Stunden lang neben meinem Bett. Heute fühle ich mich sicherer. Ich mache mir keine Sorgen mehr, denn wenn der Alarm losgeht kommt jemand. Ich fühle mich nicht mehr so alleine.”

In Soest, in den Niederlanden, wird ein weiteres Überwachungssystem in einem Altersheim getestet. Es erlaubt den Patienten selbstständiger in kleinen Gruppen zu leben und manche Sachen ohne Hilfe von außen zu erledigen. Laut den Pflegern hat sich seit der Installation des Systems die Stimmung bei den Heimbewohnern deutlich verbessert. Dem Direktor des Pflegeheims Ad Witlox zufolge wäre durch die neue Technologie ein Heimaufenthalt bei vielen Demenzkranken nicht mehr nötig: “Es geht nicht um die Bekämpfung der Krankheit, das System bringt keine Verbesserung oder Verschlechterung des Gesundheitzustandes. Aber es trägt zu einer Verbesserung ihrer Lebenssituation bei, sie fühlen sich in ihren eigenen vier Wänden sicher. Im Heim erkennen die Bewohner weder die Pfleger noch die anderen Patienten. Menschen mit dieser Krankheit geht es besser, wenn sie zuhause in ihrer gewohnten Umgebung leben können.”

Ein drittes System wird für die Demenzkranken entwickelt, die zuhause leben und meist von einem nahen Familienangehörigen betreut werden. Ein Berührungsbildschirm hilft dem Patienten, sich an gewisse Sachen zu erinnern. Albert Pagnier kümmert sich um seine Frau, die an Alzheimer leidet, er hat das System getestet: “Wenn das System möchte, dass sie frühstückt oder zu Mittag isst, geht ein Alarm los und sie sieht auf dem Bildschirm Brot, und weiss dann: Oh ich muss etwas zu Mittag essen. Wenn das System in unserem Haus installiert ist, wird meine Frau alleine zuhause bleiben können, das ist momentan nicht möglich, es muss immer jemand bei ihr sein. Denn obwohl wir schon seit langem in diesem Haus wohnen, verliert sie schnell die Orientierung. Dieses System gibt ihr Sicherheit und das Gefühl nicht mehr alleine zu sein.”

Die Testverfahren für das intelligente Haus laufen bis voraussichtlich Ende 2012. In den nächsten Monaten werden die Systeme in drei europäischen Ländern getestet, in insgesamt 30 Häusern, die mit Sensoren und Assistenzsystemen ausgerüstet werden. Der Informatiker Ardjan de Jong erklärt, wie die verschiedenen Sensoren funktionieren: “Der Lebenszeichen-Sensor ist an der Decke über dem Bett angebracht. Er überträgt Radiowellen, die von der liegenden Person zurückgeworfen werden. Der Sensor misst so die Distanz zu dem Menschen und dessen Bewegungen. Das erlaubt uns, ohne direkten Kontakt, die Bewegungen der Person zu messen und Atmung, Herzschlag sowie die Bewegung der Glieder zu überwachen.”

Mit diesen neuen Technologien kann die Lebensqualität der Demenzkranken verbessert werden. Stellt sich nur die Frage, wieviele der Betroffenen sich die Installation eines solchen Systems bei sich Zuhause überhaupt leisten können. Für viele Rentner wird es nicht erschwinglich sein. Der Wirtschaftswissenschaftler Eric Frank schätzt, das die neuen Systeme vor allem in Altersheimen zum Einsatz kommen werden: “Als erstes werden die Pflegeheime investieren. Das System ist für sie vorteilhaft und gewinnbringend, denn die Kosten für die Arbeitskräfte können gesenkt werden, da die Pfleger fortan weniger Zeit bei den pflegebedürftigen Heimbewohnern verbringen müssen. Diese neue Technologie wird bei den Altersheimen Erfolg haben, denn durch die verkürzte Pflegezeit sparen sie Geld.”

Technik im Dienste der Menschen, in Zukunft könnten die digitalen Assistenzsysteme Demenzkranken erlauben weiter zuhause zu wohnen und ihnen dabei helfen trotz Krankheit ihr Leben selbstständiger zu meistern.

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