In Zentralfinnland liegt noch immer Schnee: Die Stille des Waldes wird hier nur unterbrochen, wenn wieder einmal die Wissenschaftler kommen. Sie fangen Nagetiere. Sie wollen verstehen, warum es jedes Jahr mehr Infektionskrankheiten gibt, die von Tier zu Mensch übertragen werden – sogenannte “Emerging Diseases”.
“In den 1940er Jahren waren es noch einige wenige Ausbrüche pro Jahr, 60 Jahre später immerhin schon einige Dutzend”, erklärt Renaud Lancelot. Er hat bereits “Emerging Deseases” erforscht, bevor er vor fünf Jahren zum EU-Projekt EDEN kam – “Emerging Deseases in einer sich ändernden Europäischen Umwelt”.
Heute weiß man, das die Veränderungen menschlicher Lebensgewohnheiten mehr zur Ausbreitung von Infektionskrankheiten beitragen können als etwa der Klimawandel.
“Wir haben es beim Zusammenbruch des Ostblocks gesehen, dass viele Menschen in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerieten und ihre Arbeit verloren. Sie gingen also in die Wälder, um dort Pilze zu ernten oder wilde Beeren. Dabei kamen sie manchmal in Kontakt mit Zecken, Insekten und Nagern, und schon fanden bestimmte Krankheiten Zugang zum Menschen.”
Unser Projekt befasst sich mit Infektionskrankheiten, die von Tieren wie Zecken oder Mücken auf Menschen übertragen werden. Nagetiere spielen dabei eine besondere Rolle, wie Heikki Enttonen nach 40 Jahren Forschung weiß. Sie sind oft der Ursprung vieler Krankheiten, so zum Beispiel der viralen hämorragischen Fieber. Fast alle Wissenschaftler in Heikkis Team hatten es schon einmal, so auch Esa. Eine Woche lang hatte er 40 Grad Fieber. “Ich glaube, es ging mir in meinem ganzen Leben noch nie so schlecht! Nach dieser Woche habe ich fast eine ganze weitere Woche gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen.”
Die Nager, häufigste Säugetiergruppe der Welt, von denen es mehr als Menschen gibt, spielen eine Schlüsselrolle bei der Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Eine Zecke oder Mücke sticht eine infizierte Maus und überträgt dann mit einem weiteren Stich die Krankheit auf einen Menschen. Außerdem sind Nager die stille Reserve für das Virus, wenn die Epidemie vorüber ist.
“Wenn es viele Nagetiere gibt, gibt es auch mehr Infektionskrankheiten. Nimmt der Bestand ab, verschwinden auch die Krankheiten beim Menschen. Das Virus ist damit aber NICHT verschwunden, in geringer Verbreitung existiert es weiter in den Nagern. In den Wäldern ist es immer da.”
Auf diese Weise bleiben selbst Krankheitserreger, die anscheinend ausgerottet wurden, versteckt am Leben – in den Tieren. An diesem Punkt wird Umweltschutz dann wichtig, denn Artenvielfalt verhindert, daß Tiere, die einen Virus in sich tragen, zu zahlreich werden.
“Angenommen wir haben in einer intakten natürlichen Umwelt einige Dutzend Arten mit jeweils geringem Bestand. Dann verringert sich die Anzahl der Arten durch landwirtschaftliche Monokultur. So bleiben nur ein, zwei Arten übrig, DIE aber erreichen große Bestände. Wenn diese Arten nun Träger eines gefährlichen Virus sind, bekommen wir ein Problem, weil der Wirt zu zahlreich ist und daher das Virus leichter auf den Menschen überspringen kann.”
Um die Krankheiten unter Kontrolle zu bekommen, sammeln die Forscher Proben von Nagetieren…. eine Arbeit, die sie mit dem Studium der natürlichen Lebensräume der Tiere verbinden. “Wir müssen die Lebensweise der Nagetiere besser verstehen. Weil wir dann auch lernen, wie das Virus auf die Menschen übertragen wird.”
Einige der weltweit gesammelten Proben landen hier in Helsinki. In der finnischen Haupstadt befindet sich eines der besten Institute zur Erforschung von Krankheiten, die von Tier zu Mensch übertragen werden. Vor 30 Jahren wurde es hier entdeckt: das Hanta-Virus, es ruft ein hämorragisches Fieber hevor. In Nordeuropa verbreitet durch Partikel von Nagetierexkrementen, die eingeatmet werden. Ausgewertet werden sowohl menschliche als auch tierische Proben.
Forscher Olli Vapalahti erklärt: “Was wir hier machen? Wir versuchen die Proben aus freier Natur in Verbindung zu bringen mit dem virologischen Befund, dem Genom des Virus. Wir werten aber auch Patientenproben aus, um zu sehen, ob ein Virus Krankheiten hervorruft.”
Das Ergebnis dieser genetischen Analyse geht später nach Montpellier in Südfrankreich. Dort erforscht man die Genetik der Nagetiere. Zuerst wird jedes Tier bestimmt. Eine Arbeit, die oft zur Entdeckung neuer Arten führt. Danach schaut man, ob ein Virus dieser Nager andere Arten infizieren könnte.
“Nehmen wir beispielsweise eine Nager-Art, die einen neuen Lebensraum in Besitz nimmt….mit allen Viren, die diese Art mitbringt…dann ist es wichtig zu wissen, ob diese Viren auf die bereits in diesem Territorium vorhandenen Nager übertragen werden kann. Oder ob ein Virus vielleicht nicht übertragen werden kann, weil der bereits vorhandenen Art dazu die genetischen Voraussetzungen fehlen”, sagt Nathalie Charbonnel.
Wie aber können Nager oder Tiere überhaupt einen neuen Lebensraum erobern? Die Antwort ist einfach: genauso wie Menschen. Renaud Lancelot: “Nagetiere aber auch Mücken oder andere Tiere nehmen das Flugzeug oder sie reisen in Containern auf Schiffen. Auf diese Weise breiten sich Arten aus und können neue Lebensräume besiedeln.”
Heikki Hentonen: “Für Viren gibt es keine Grenzen. Deshalb kooperieren wir in der Forschung auch seit Beginn international mit 48 Instituten aus 24 Ländern. Wenn wir verstehen, was vor Ort in den verschiedenen Teilen Europas passiert und wie die Viren durch die Umwelt beeinflusst werden, dann können wir damit Modelle zur Vorhersage erstellen. Wir können das Risiko abschätzen und helfen, die Krankheiten einzudämmen.”
Diese Modelle erlauben dann vielleicht Prognosen, wann und wo eine Epidemie auftreten könnte…durch weitere Fakten über den Klimawandel. Neue Verhaltensweisen der Menschen oder neue Viren tauchen auf. All diese Informationen laufen bei den Gesundheitsbehörden zusammen. Auf künftige Epidemien könnte man sich also leichter vorbereiten.
Renaud Lancelot: “Wir haben ein Netzwerk wichtiger Wissenschaftler aufgebaut, um im Notfall jederzeit reagieren zu können.”
Heikki Henttonen: “Kommt es zu einer Epidemie, so können wir sehr schnell herausfinden, was genau die Krankheit verursacht hat. Bei SARS zum Beispiel dauerte es nur wenige Wochen, das Virus zu bestimmen. Auch bei Grippe finden wir die viralen Stämme sehr schnell.”
Der Schlüssel liegt darin, dem Virus zuvorzu kommen – zu handeln bevor es sich ausbreiten kann. Renaud Lencelot: “Der beste Weg, Menschen zu schützen, besteht darin die Viren der Tiere zu kennen.”
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